Santiago vom Cerro Cristobal, im Hintergrund die Anden

Santiago de Chile: Erdbeben und Märkte

Zu Santiago de Chile hatte ich so gut wie keine Erwartungen, da es keine Stadt ist, über die man schon vorab so viele Bilder im Kopf hat wie zum Beispiel über Buenos Aires. Das einzige, was ich vorab von Santiago von anderen Reisenden gehört habe, waren schreckliche Diebstahl-Geschichten: eine Deutsche wurde an einem Abend zweimal überfallen, einem Paar wurde ein großer Rucksack am Busbahnhof gestohlen. Deswegen sind wir erst einmal sehr wachsam, als wir in Santiago ankommen, und nehmen von der Metro-Station zu unserem Hostel ein Taxi. Leider weiß der Taxifahrer genausowenig wie wir, wie er unser Hostel finden soll. Ich kann nicht einschätzen, ob er wirklich so dumm / verwirrt ist oder ein sehr guter Schauspieler, der uns abzocken will. Zuerst fährt er mit offenem Fenster durch das immerhin richtige Viertel und schreit jeden Passanten an, ob er die Adresse unseres Hostels kennt. Leider ohne Ergebnis. Dann kommt er auf die Idee, die Polizei zu fragen. Wir können leider nicht hören, was sie sprechen, aber der Polizist scheint ihm den Weg auf seinem Handy zu zeigen. Leider reicht das unserem Taxifahrer nicht. Erst nach zwei weiteren Runden durch Bellavista und zwei Passanten, die den Weg sehr gut erklären, lädt er uns an der richtigen Adresse ab. Der Taxameter ist natürlich die ganze Zeit gelaufen. Aber vorweg: das ist das einzige “Verbrechen”, das uns in Santiago widerfährt. Ansonsten hat Santiago vor allem Spaß gemacht.

Nachtleben mit Erdbeben in Bellavista

An der richtigen Adresse angekommen, sind wir wieder verwirrt: Nichts deutet hier auf ein Hostel hin, es sieht eher wie ein gut verschlossenes Wohnhaus aus. Als wir vorsichtig klingeln, entpuppt es sich zum Glück als das richtige Hostel, das auch wirklich schön ist. Sehr überzeugend ist auch die Lage in Bellavista, dem Studenten- und Bar-Viertel von Santiago. Von mittags bis spätnachts herrscht hier Hochbetrieb, den wir uns nicht entgehen lassen können. Gestärkt mit einem Lomo a lo Pobre – Steak mit Ei, Zwiebeln und Pommes – können wir uns auch an DAS Getränk in Santiago wagen: Terremoto – deutsch: Erdbeben. Trinkt man genug von dem Mix aus billigem (!) Weißwein, Fernet und Ananaseis, fängt die Erde an zu wackeln. Auch wenn im erdbebengeplagten Santiago tatsächlich mal keines stattfindet. Im Schnitt gibt es hier alle 10 bis 15 Jahre ein starkes Erdbeben, dazwischen mehrere kleinere. Inzwischen ist die Stadt darauf gut vorbereitet, so gut wie alle Gebäude sind erdbebensicher.

Geschichtsträchtiges Zentrum

Bei einer Walking Tour durch das Zentrum Santiagos bekommen wir Einblicke in die chilenische Geschichte. Vor dem Parlamentsgebäude wurde 1973 die Präsidentschaft des Sozialisten Salvador Allende gewaltsam beendet. Der Putsch des Generals Augusto Pinochet bildete den Auftakt einer 17-jährigem Militär-Diktatur. Allende soll sich im Parlament selbst erschossen haben, was bis heute von seinen Anhängern angezweifelt wird. Politik ist auch heute ein brisantes Thema in Chile, die Gesellschaft teilt sich noch immer in die Lager der Allende- und Pinochet-Anhänger auf, eine Aufarbeitung der Diktatur hat bisher nur teilweise stattgefunden. Überbleibsel aus der Diktatur sind seltsame Gesetze: So darf zum Beispiel die chilenische Flagge nur an bestimmten Feiertagen von Privatpersonen öffentlich gezeigt werden. Zur Fußball WM mussten die Behörden wohl ein Auge zudrücken.

Bunte Märkte und ein gar nicht so trauriger Friedhof

Besonders spannend an Santiago finde ich die vielen Märkte. Der Mercado Central in Santiagos Zentrum lässt die Herzen aller, die wie ich Seafood-Liebhaber sind, höher schlagen. Hier sind die Restaurants in der Mitte des Marktes für Touristen-Abzocke zuständig, während man in den kleinen Restaurants an den Rändern tolle Fisch- und Meeresfrüchte-Gerichte findet. Pastel de Jaiva – ein Auflauf mit Krabbenfleisch, Machas a la Parmesana – mit Parmesan überbackene Muscheln, und Caldillo de Congrio – eine Suppe mit Meeresal, Kartoffeln und Paprika, das Lieblingsgericht des chilenischen Dichters Pablo Neruda – sollte man unbedingt probieren. Danach geht es über den Fluss Mapocho nach La Chimba – auf Quechua “die andere Seite”, wo früher die ärmere Bevölkerung Santiagos lebte. Wir laufen dort durch die Märkte Tirso de Molina und La Vega, auf denen es Lebensmittel, vor allem Obst und Gemüse, günstig zu kaufen gibt. Unsere Offbeat Santiago Walking Tour endet am Friedhof in Recoleta. Auch hier zeigt sich an den Gräbern die Kluft zwischen arm und reich. Für die einfachen Grabnischen muss man bereits 1.000 Dollar hinblättern, die Reichen versuchen sich mit immer größeren Mausoleen zu übertrumpfen. In Chile sind Friedhöfe gar keine so stillen Orte, die Chilenen gedenken ihrer verstorbenen Angehörigen, indem sie auf dem Friedhof picknicken oder mit einem Bier auf sie anstoßen. Viele Gräber sind daher auch mit bunten Devotionalien geschmückt. So ist es auch kein Widerspruch, dass unsere Walking Tour in der nächsten Bar mit einem Terremoto endet.

Manchmal ist es gut, keine großen Erwartungen und Vorstellungen zu einem Reiseziel zu haben, weil man sich dann – so wie ich von Santiago de Chile – positiv überraschen lassen kann. Santiago hat vielleicht nicht das Flair und die Fülle an Sehenswürdigkeiten wie Buenos Aires, aber ein paar tolle Tage mit Stadtleben lassen sich dort gut verbringen.

Schlafen: Santiago Hostal – schöne, große Zimmer, tolle Lage in Bellavista, dafür nicht billig

Essen: Galindo – chilenische Spezialitäten zu fairen Preisen

Tour: Tour 4 Tips mit den Wallys – sehr empfehlenswert

Santiago vom Cerro Cristobal, im Hintergrund die Anden

Santiago vom Cerro Cristobal, im Hintergrund die Anden

Das Parlamentsgebäude

Das Parlamentsgebäude

Museo de Bellas Artes

Museo de Bellas Artes

Straßenmusiker

Straßenmusiker

Nerudas Leibspeise: Caldillo de Congrio

Nerudas Leibspeise: Caldillo de Congrio

Terremoto

Terremoto

Mercado Central

Mercado Central

Machas - chilenische Muscheln

Machas – chilenische Muscheln

Saftbar in La Vega, Santiagos Obstmarkt

Saftbar in La Vega, Santiagos Obstmarkt

Gewürze in La Vega

Gewürze in La Vega

Friedhof in Recoleta - Verehrung eines Volksheiligen

Friedhof in Recoleta – Verehrung eines Volksheiligen

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