Bolivien – Reise durch Absurdistan
Mit dem Grenzübergang von Bolivien nach Chile komme ich nicht nur in ein neues Land, sondern gleichzeitig in eine komplett neue Welt. Chile und auch Argentinien sind die wohlhabendsten und am stärksten europäisch geprägten Länder in Südamerika, dort läuft vieles noch ziemlich geordnet ab und man kommt relativ leicht an alle Annehmlichkeiten, an die wir in Europa gewöhnt sind. Bolivien ist dagegen das ärmste Land in Südamerika, auf dem Land leben die Menschen dort oft noch wie in Deutschland die Bauern vielleicht vor 100 Jahren. Leider gibt es bisher wenig Umweltbewusstsein, es ist erschreckend, wie viel Müll überall herumliegt.
Der Anteil der indigenen Bevölkerung (vor allem Quechua und Aymara) ist in Bolivien wesentlich höher als in den südlichen Nachbarstaaten, so dass sich hier viele alte Gebräuche und Sitten erhalten haben. Viele Frauen laufen in traditioneller Kleidung herum und tragen ihre Kinder in bunten Tüchern auf dem Rücken. Um euch einen Eindruck zu geben, wie sich mein kleiner Kulturschock in Bolivien angefühlt hat, bekommt ihr eine kleine Auflistung der Absurditäten, denen ich dort begegnet bin:
Bolivien hat zwei Hauptstädte: Sucre und La Paz
Offiziell ist Sucre, das auf 2.800 Metern mitten in den Anden liegt, Hauptstadt Boliviens. Sucre ist sicher eine der schönsten Städte Boliviens mit viel alter Kolonialarchitektur und gehört daher zum UNESCO Weltkulturerbe. Regierungssitz und heimliche Hauptstadt ist aber La Paz, das mit seiner Lage auf 3.200 bis 4.100 Metern als höchster Regierungssitz der Welt gilt. La Paz verfügt auch noch über einige Kolonialbauten, zum Beispiel auf dem Plaza Murillo in der Innenstadt, ist aber ansonsten ein ziemlicher Moloch aus hässlichen Gebäuden, vielen Fahrzeugen, Abgasen und Lärm. An schönen Tagen kann man aber zumindest von den höher gelegenen Teilen der Stadt die hohen Gipfel der Anden sehen.
Halbfertige und unverputzte Gebäude
Der Hauptgrund, warum die meisten bolivianischen Städte und Orte nicht so schön wie Sucres Altstadt sind, sind unzählige halbfertige und unverputzte Gebäude. Stadtplanung scheint es nicht zu geben und so wird einfach wild angefangen zu bauen und wieder aufgehört, wenn das Geld ausgeht. Resultat sind viele Ziegel-Rohbauten, oft ohne obere Stockwerke und Dach, welche die Stadtbilder prägen.
Es gibt kaum Supermärkte
Supermärkte sind in Bolivien kaum verbreitet, denn die meisten Bolivianer kaufen lieber auf Märkten ein. Deswegen gibt es in jedem Ort mindestens einen großen Markt, auf dem man an Ständen Obst, Gemüse, viele viele Eier, Fleisch und Fisch kaufen kann. Selbstverständlich hängen Fleisch und Fisch dort ohne Kühlung aus und wirklich jedes Teil des Tieres wird verwertet. Das ist für uns Europäer, die alles nur verzehrfertig aus dem Supermarkt kennen, sehr ungewohnt. An den vielen Essensständen auf den Märkten kann man aber günstig gute Menüs essen. Solange alles gekocht ist, sollte es hygienisch auch für uns unbedenklich sein. Bisher ist mir alles gut bekommen.
Der vermutlich ungewöhnlichste Markt in Bolivien ist der Mercado de la Hechicería in La Paz, auf Deutsch Hexenmarkt. Hier findet sich für jedes Problem eine Lösung, seien es Eheprobleme, Krankheiten oder Schutz auf Reisen. Naturmedizin kombiniert mit ein bisschen Zauber bieten Hilfe. Besonders beliebt sind die getrockneten Lamaföten, die bei jedem Hausbau mit in das Fundament gegeben werden.
Man muss für alles bezahlen
In Bolivien muss man zumindest als Tourist für wirklich jede Kleinigkeit eine kleine Gebühr abdrücken. Die Beträge sind zwar sehr überschaubar, aber trotzdem kommt man sich vor, wie eine Kuh, die gemolken wird, wenn man an jeder Ecke irgendeine absurde Steuer oder Eintritt für praktisch nichts bezahlt. Dass man für jede Toilettennutzung bezahlt, leuchtet ja noch ein, immerhin bekommt man ein paar sauber gefaltete Blätter Klopapier dafür. Die Gebühr für das Betreten des Busbahnhofs schon etwas weniger, wenn ich schließlich schon ein Busticket gekauft habe.
Den Vogel schießen sie aber am Flughafen in Rurrenabaque ab: Nach dem Check-In und der Gepäckabgabe an einem windigen Fenster in dem winzigen Flughafen, schickt man uns an den Schalter nebenan, um die Flughafensteuer von 7 Bolivianos (ca. 1€) zu bezahlen. Damit ist es aber nicht getan: Als nächstes werden wir an einen Tisch auf der anderen Seite des Raumes geschickt, wo wir nochmal 15 Bolivianos bezahlen sollen. Auf unsere Nachfrage wofür, heißt es nur lapidar: “Für den Tourismus.”
Auf der Isla del Sol im Titicacasee wird man gleich beim Betreten der Insel am Bootsanleger mit 5 Bolivianos zur Kasse gebeten. Als wir vom Süden in den Norden der Insel wandern, müssen wir noch einmal 15 Bolivianos für die Benutzung des Weges bezahlen. Zum Glück haben wir die Tickets aufgehoben, denn am Rückweg wird noch einmal streng kontrolliert, ob wir auch alles bezahlt haben. Leider werden diese Gebühren nicht benutzt, um Wegweiser aufzustellen, deswegen verirren wir uns bei unserer Wanderung ordentlich.
Der Service in Restaurants ist unterirdisch
Ein typischer Restaurantbesuch in Bolivien: Wir betreten das Restaurant, suchen einen Tisch und warten erst einmal. Ziemlich lange… Der Kellner sieht uns zwar, ist auch nicht besonders beschäftigt, weil das Restaurant bis auf ein paar besetzte Tische leer ist, macht aber erst einmal nichts. Nach 15 Minuten holen wir uns selbst die Karte. Weitere 15 Minuten später schlurft der Kellner an unseren Tisch, um die Bestellung endlich aufzunehmen. Zweimal Tagesmenü und zwei Gläser Wein sollten einfach sein. Denken wir. Die Suppe als Vorspeise kommt ziemlich schnell, aber zwei Minuten später steht auch schon die Hauptspeise daneben. Jetzt heißt es schnell Suppe löffeln, damit nichts kalt wird. Wein vor oder gleichzeitig mit dem Essen scheint in Bolivien ein fremdes Konzept zu sein. Nach mehrmaligem Nachfragen bekommen wir ihn schließlich, als wir mit der Hauptspeise fast fertig sind. Nach dem Essen wird sofort die Rechnung auf den Tisch geknallt, damit wir bloß nicht auf die Idee kommen, ein zweites Getränk zu bestellen.
Das sind ein paar Beispiele, wie europäische und bolivianische Denkweisen aufeinanderprallen und warum uns manche Gepflogenheiten in Bolivien sehr befremdlich erscheinen. Trotzdem oder auch gerade deswegen ist Bolivien ein sehr spannendes Reiseland mit vielfältiger Natur – hohe Berge, Nebelwälder, Dschungel, dem höchsten schiffbaren See der Welt… – sowie jahrhundertealter Kultur und Traditionen. Ich würde Bolivien jederzeit wieder in meine Reiseroute aufnehmen! Wer jedoch einen sanfteren Einstieg nach Südamerika ohne allzu großen Kulturschock sucht, sollte mit Argentinien, Chile oder Peru beginnen.
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